Rede von Walter Lampe, Diakoniepastor,zur Ausstellungseröffnung am 20. Oktober 1996,

"Skulpturen von Wilfried Behre"
im Ottomar-von-Reden-Park, Kunstverein Gehrden

Bildhauer Wilfried Behre arbeitet mit Hammer und Meißel an der Ewigkeit, so stand es in der Neuen Presse am 6. Mai 1995. Die Arbeit mit den Steinen ist für ihn Teil seiner Persönlichkeit geworden, er sagt: "der Stein ist das Ewige in mir!" Viele Altäre in den Kirchen sind aus Steinen. Die Steine sind als Altäre das Zentrum heiliger Stätten in den verschiedenen Religionen. Der aufgerichtete heilige Stein ist nicht nur Nomen bzw. die Repräsentation der personalen Gottheit, sondern dient auch als Gedächtnis der Toten, zur Erinnerung an einen Sieg oder als Zeuge eines Vertrages. Jacob salbt in der Bibel den aufgestellten Stein mit Öl. So will die biblische Sage ein Erinnerungsmal an die Offenbarung sehen. Der Stein als Symbol ist Charakter des Ewigen und hat gleichzeitig ein Flair des Geheimnisvollen in sich. Er ist nicht kalt, nein, er ist auch eine Existenzform - eine Kreatur, er hat Leben in sich. Wenn der Künstler also den Stein aus der Erde nimmt, möchte er ihn als lebendigen Teil dieser Erde begreifen und ihm seine Referenz erweisen. Jeder Mensch hat doch diesen Wunsch, diese Sehnsucht nach Ewigkeit, der Stein symbolisiert sie! Deshalb ist Behre ein Bildhauer aus Berufung. Es hat ihn danach gedrängt, der Stein hat, würden wir heute sagen, ihn betroffen gemacht, und daraus ist ein Lebenswerk gespeist. Er ist ein Meisterschüler des japanischen Steinbildhauers Prof. Makoto Fujiwara gewesen, bei dem er das Faszinosum Stein in seine Lebensgeschichte integriert hat.

Der Stein ist für Wilfried Behre Aktion und Erlebnis zugleich.

Bei Salzburg ließ er aus einem am Fuße des Berges gelegenen Steinbruch eine bearbeitete Marmorskulptur auf den Gipfel des Berges fliegen. Er wollte dem Berg ein Werk zurückschenken. Der Stein muss auf den Gipfel, weil der Gipfel mehr die geistige Dimension des Menschen anspricht als der Fuß des Berges . Auf dem Gipfel des Berges ist die Skulptur in der Nähe des Himmels und damit der Ewigkeit näher, dem Alltäglichen entrückt. Der Stein, die Skulptur transzendiert das Alltägliche und lässt den Schimmer des Ewigen in einem Element sichtbar werden.

Diese fruchtbare Spannung zwischen dem Alltäglichen und der Transzendenz spiegelt sich im Schaffen des Wilfried Behre ständig wieder.

Gegenwärtig bearbeitet er das "Globale Steinband" seit 1989 am Maschsee in Hannover und die ersten sieben Skulpturen sind am Ost- und Westufer zu sehen. Nach seinen Vorstellungen sollen weitere solcher Skulpturengruppen in verschiedenen Ländern der Erde entstehen, die dann insgesamt zu einem "Globalen Steinband" verknüpft werden.

2.Kunst kann ja Gestalt von Sinn und von Vakuum oder von Sinnleere hervorbringen. Kunst kann in Sicherheit wiegen und einen Aufschrei hervorbringen. Was wir normalerweise zu Hause hängen haben, ist häufig nicht Kunst, sondern Dekoration. Nichts dagegen zu sagen: Dekorateure sind hochwichtige Menschen. Aber Beuys sagt, dass Kunst von Künden kommt; also Kunst will immer etwas verkünden. Wilfried Behre will Verantwortung übernehmen, was man hinterlässt. Die Müllberge sind doch konträr zu dem, was wir fühlen, sagt er. Kunst und Kunde (Verkündigung) vermischen sich bei Behre, deswegen lässt sich seine Kunst mit einem sozialen Impetus verbinden. Von Januar bis März 1991 initiierte Wilfried Behre eine Gemeinschaftsarbeit mehrerer Bildhauer, in dem er auf dem Operplatz in Hannover eine Gedenkstätte aus Steinen für die Opfer des Golfkrieges schuf. Diese Steine sind auch Ausdruck des Friedens und Mahnung zur Versöhnung, eben immer mit dem Hauch der Überschreitung des Alltäglichen.


Oder: Anfang 1990 staunten die vorübergehenden Passanten, als da tatsächlich in der Passerelle in Hannover einer Weihnachtsbäume mit dem Beil abschälte. Nach viel Arbeit wurde aus diesen Bäumen ein Bett für Obdachlose. Kunst zeigt das schreiende Unrecht auf und lässt doch zugleich erkennen, dass es etwas anderes, etwas Schöneres gibt. Oder - da ist zum Beispiel die Brunnenanlage in der Begegnungsstätte im Blindenverband Hannover, die er 1992 geschaffen hat. Dieser Stein plätschert Tag und Nacht vor sich hin und ist deswegen für die Blinden Orientierung und ermöglicht ihnen die Teilnahme am Leben. Das ist für mich auch das Beeindruckende an den Begegnungen mit der Kunst Wilfried Behres gewesen, ich habe seitdem zum ersten Mal Steine und Leben in Verbindung miteinander gesetzt.

Deswegen arbeitet Wilfried Behre in der Regel auch draußen und unter den Augen der Spaziergänger und Passanten, redet mit ihnen, kommt mit ihnen ins Gespräch, sei es mit der Verkäuferin aus dem Kaufhaus ebenso wie mit dem Computerfachmann oder dem Fließbandarbeiter oder dem Arzt oder, oder... . Viele sehen zum ersten Mal, dass ein Künstler hart arbeitet genauso wie sie selbst. Das schafft Verbindung, ermöglicht gegenseitiges Verständnis und lässt der Kunst Sprache und Auseinandersetzung mit der Realität geben.

Wasser in Verbindung mit Steinen, diese Urelemente spielen in seinem Schaffen immer wieder eine große Rolle, genau wie hier beim großen Solarbrunnenstein in der Ausstellung. Das Konzept dafür ist: Mit Solarenergie wird Wasser angetrieben; wenn Sonne scheint, fließt das Wasser. Durch das Lichtspiel von Sonne und Wolken wird die Wassermenge reguliert. Das Wasser sprudelt nur aus dem Stein, wenn es Tageslicht gibt. Und wenn die Sonne stark scheint, sprudelt das Wasser auch maximal. Das Wolken-Sonne-Lichtspiel bestimmt die sprudelnde Wassermenge durch den Stein von Sonnenaufgang bis zum Sonnenuntergang! Wasser und Steine haben in ihrer Art gleichzeitig Ewigkeitscharakter. Wir brauchen also dieses Ewige im Alltäglichen, um die Realität zu bewältigen. Deswegen haben seine Aktionen und auch seine Tätigkeiten - damals 1994 als Professor der Internationalen Sommerakademie in Salzburg oder als 1. Vorsitzender der AuE-Kreativschule in Hannover - immer neben der Freiheit des Schaffenden auch eine Botschaft. Dieses will er gerade Jugendlichen und durch seine unaufdringliche Pädagogik auch Kindern vermitteln. 3.Er will durch das Medium Stein die Verantwortung der Menschen für die Schöpfung wecken und den Geschöpfen gleichzeitig eine Würde geben, die man nicht verletzen darf.

Wilfried Behre versteht Kunst nicht als orientierungsloses Dahinarbeiten, sondern Kunst bringt die Auseinandersetzung, vertritt Standpunkte. Das Wasser in der Brunnenanlage beim Blindenverband streichelt den Stein und markiert durch sein Fließen und Plätschern einen Orientierungspunkt. Die unterschiedlichen Oberflächen sind nicht nur sichtbar, sondern auch fühlbar. Kunst mit allen Sinnen, Herz und Verstand. Bei diesem Brunnenstein hörst und siehst du Frieden, nimmst ökologisches Gleichgewicht war, und dass du dazu gehören darfst, ohne zu stören. Bei der Berührung der Skulptur fühlst Du Frieden, Du fühlst schön.

Du nimmst die Zeichen, die Gestalt von Geborgensein wahr, ganz sinnlich. Vielleicht ist das das Geheimnis dieser Stein-Kunst: Du nimmst seine Wirklichkeit wahr, bei der es nicht so sehr auf Dich ankommt, sondern auf dich zukommt. Was mich ermöglicht, was mich sein lässt, durch das Ertasten, Hören, Sehen, Fühlen, vielleicht auch Riechen sind Bilder, die mich in einen Zusammenhang stellen, so etwas erleben wir als schön. Wo das Kunstwerk ist, da ist kein Teufel, sagt Gomez Davila. Das Schöne ist der Glanz des Wahren (Plotin). In der Bibel wird davon berichtet, die im Kultus verwendeten Steine sollten zunächst unbehauen bleiben (Exodus 20,25): Das weist zurück auf die Vorstellung vom beseelten Stein. Später dann aber wurden auch die Altarsteine bearbeitet. Der Stein hat also in der religiösen Sprache auch eine Seele. Und durch Kunst erhalten wir Berührung mit der Seele, nicht wir bearbeiten die Seele, sondern sie bearbeitet uns.

Die Arbeit mit dem Stein ist eine langsame Arbeit. Das Zeitmaß verschiebt sich durch die Arbeit am Stein. Der Künstler erfährt dabei ständig, wie alt der Stein ist. Der Stein ist für Wilfried Behre Kreatur. Alle Kreaturen haben ihre Zeit, um zu leben. Wenn ich der Kreatur Zeit gebe, gebe ich ihr und mir gleichsam Würde. Ich lasse in dieser intensiven Arbeitszeit eine Beziehung zu, die die lange Zeit mit einbezieht. Das lässt eine Beziehung zum Stein entstehen, in der ich dem Stein Zeit gebe, und der Stein mir Zeit gibt. Der Stein wird somit zum Gegenpol, zum Gegenpart des Oberflächlichen, der Schnelllebigkeit. Die Skulptur lässt die Tiefe des Seins atmen. Wenn ich diesen Stein mit seinem ewigen Zeitumfang bearbeite, dann merke ich, welch´ kleiner Mensch, welch´ kleine Erscheinung ich eigentlich bin, spürt Wilfried Behre bei der Arbeit. Ich fühle mich auf mein eigenes menschliches Maß gebracht, ich bin ein kleines Rad im Weltgeschehen, ich bin nur ein kleiner Besucher, der aus der Ewigkeit kommt und in die Ewigkeit geht. Deswegen verbietet die Arbeit mit dem Stein jede hastige Kurzlebigkeit. Und aus diesem Grunde arbeitet Wilfried Behre wohl nicht gegenständlich, nicht figürlich. Im Prozess der Bearbeitung gehen immer nur kleine Stücke vom Stein ab, deswegen hat der Künstler Zeit, die Form immer wieder zu überprüfen. Das Abschlagen ist wie ein Herzschlag, ist Meditation. Wenn die Skulptur fertig ist, spürt Wilfried Behre innere Ruhe, Gelassensein, Gehaltenwerden, die Skulptur entlässt ihn in seine innere Harmonie. Beim Steinbearbeiten geht es dem Künstler wohl so wie dem Ikonenmaler: Es malt in mir! Die Ikonenbilder sind nie signiert. In ihnen schimmert der Hinweis auf das Geistige, auf das Göttliche hin, die Person steht im Hintergrund. 4.Der Künstler besetzt sozusagen die Vermittlerrolle zwischen dem Transzendenten und der Jetzt-Zeit. Nicht ich habe gemacht, sondern es ist so geschehen. So nimmt der Künstler sich in der Arbeit zurück, auch die Skulpturen werde ja nicht signiert. Bei der Bearbeitung mit dem Stein hat der Künstler immer das Gefühl: So alt wie der Stein werde ich nicht. Er erlebt seine eigene Begrenztheit, seine irdische Endlichkeit. Dieses Gespür für die eigene Endlichkeit gibt gleichzeitig den Impuls, das Leben, den Augenblick als ganz kostbar zu empfinden. Der Satz einer amerikanischen Nonne: Heute ist der erste Tag vom Rest meines Lebens, gewinnt durch die Arbeit mit dem ewigen Stein Realität. Wilfried Behre formuliert das so: Je mehr ich bei der Arbeit an das Ewige oder vielleicht sogar an den Tod denke, desto lebendiger werde ich! Gleichzeitig bekomme ich ein neues Verhältnis zu den ganz alltäglichen Dingen. Ich sage nicht, ach wie furchtbar ist es, dass es jetzt wieder regnet, sondern ich nehme die Regentropfen bewusst als etwas Erfrischendes war.

Den Stein, mit dem ich arbeite, gibt es manchmal 2 Milliarden Jahre - ich aber werde vielleicht 80 oder 90. Deshalb muss ich ihm eine Chance geben, jene Ewigkeit zu zeigen, die in ihm steckt! Also, nicht der Künstler gibt dem Stein eine Chance, sondern der Stein gibt dem Künstler eine Chance. So habe ich durch die Arbeit mit dem Stein erfahren, dass der Stein meine Seele berührt, sagt Behre. Vielleicht obliegt es uns beim Betrachten der Steine auch, unsere Seele anrühren zu lassen.

Walter Lampe, Diakoniepastor


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